Tag 105:
Bevor wir heute morgen die Grenze überschreiten heißt es noch einen ganzen Haufen Postkarten mit usbekischen Briefmarken einzuwerfen. Viele Passanten bestätigen uns, an der Grenze einen Briefkasten zu finden.Tatsächlich dort angekommen halten uns die Grenzbeamten für völlig dumm. “Dies ist eine Grenze, kein Post!”, wird uns verständlich gemacht. Die nächste Post befindet sich erst wieder in Tashkent… Na Danke! Ein Usbeke macht uns deutlich, die Karten für uns einwerfen zu wollen. Nach kurzem Überlegen willigen wir ein. Ob die wohl je ihr Ziel erreichen? Oder werden die Briefmarken hinter der nächsten Ecke wieder herunter gelutscht und neu verkauft…
Der Grenzübertritt ist schnell gemacht, die Kasachen sind deutlich entspannter als unsere bisherigen Gastgeber. Keine Zollpapiere ausfüllen, juchhu!


Schon in Usbekistan ging es los, und hier kommen wir wieder in den gleichen Genuss: Jan ist Hinterrad hat eine magnetische Wirkung auf Dornen und Glasscherben, mittlerweile ein einziger Schlauch schon eine zweistellige Anzahl an Flicken…


Die ersten Meter in Kasachstan… Karg und grau.


Hier haben die Menschen wieder mehr Geld: Unmengen alter Audi und Mercedes füllen die Straßen und die Dichte an Stretch -Limousinen ist erstaunlich.
Nach einem langen Tag erreichen wir Shymkent. Geld Wechseln, Essen besorgen und schon ist es dunkel. Hinter ein paar Erdhügeln im Stadtgebiet nehmen wir eine ausgiebige kalte PET-Flaschen-Dusche und erreichen über dunkle vielbefahrene Straßen den Stadtrand.
Ende 105. 122km, ø18,4km/h, W: ok, S: ok, Süßes: 150g
Ort: Schymkent (14.10.2012)
Tag 106:
Morgens weckt uns das leichte Prasseln von Nieselregen. Wir haben nicht damit gerechnet und so sind alle Sachen draußen in den Fahrradtaschen nass und auch das Zelt könnte besser abgespannt sein. Grummelnd drehen wir uns nochmal um und verdrängen das Problem, alle Sachen je wieder trocken zu bekommen…Irgendwann hört es dann aber zum Glück doch wieder auf und wir packen die patschnassen Sachen zusammen.


Frühstück: Haferflocken aus einem aufgeschnittenem 5-Liter Wasserkannister im Trockenen an der Tanksstelle. Wenigstens kein Brot! Juhu!

Ohne Regenjacken und wasserdichte Taschen ist Regen ein echtes Problem: Ein Wetterbericht muss her. Also: Links von Marius gemalt, rechts von Tankstellenmitarbeiterin ausgefüllt.
Es sieht weder eindeutig gut noch schlecht aus, aber zumindest der Regen hat aufgehört und wir radeln erst mal weiter. Zum Sachen trockenen muss heute noch ein warmes Plätzchen her.




Abends erreichen wir wieder einen kleineren Ort und suchen nach einem Hotel. “Net, net!”, bekommen wir zu hören, erst nach 30 km wieder… Na klasse. Wir sind müde und kaputt 30 km sind definitiv nicht mehr drin. Wir haben uns schon mit dem Gedanken an das nasse Zelt und feuchte Klamotten und Schlafsäcke abgefunden, als ein Kasache dann doch auffordert, ihm in seinem Auto zu folgen. Wir gurken durch die dunkle Kleinstadt und bleiben tatsächlich vor einer kleinen Pension stehen. Nochmal Glück gehabt!
Ende 106. 110km, ø17,5km/h, W: dreck, S: mittel, Süßes: 200g
Ort: Bauyrzhan Momyshuly (15.10.2012)
Tag 107:
Strahlender Sonnenschein und angenehme Temperaturen, so begrüßt uns der nächste Morgen. Die endlose Weite der Landschaft ist beeindruckend, ewig scheinen sich die sanften Hügelketten auszudehnen.



Die Pappelalleen der nächsten größeren Stadt, Taras.

Wegen diesem Bild eines Pferdewagens werden wir noch Ärger bekommen…
In einer Fernfahrerkneipe verbringen wir die Abendstunden und bauen hinter einer einem Gleisdamm unser Zelt auf.
Ende 107. 96km, ø18km/h, W: ok, S: mittel, Süßes: 50g
Ort: Hinter Taraz (16.10.2012)
Tag 108:
Nach einer fürchterlichen Nacht mit ununterbrochenem Hundegebell und vorbei ratternden Zügen wachen wir wieder mit dem lieblichen Plätschern von Wassertropfen auf der Zeltwand auf. Wir sind ein bisschen besser vorbereit und haben einige Dinge im Zelt, aber trotzdem…In einer kleinen Regenpause krabbeln wir aus unserer Hundehütte und begutachten das Grau-in-grau um uns herum. Marius nimmt die Kamera zur Hand und spielt ein bisschen herum, um den Farbton richtig zutreffen, als zwei Autos wenig entfernt halten und eine Hand voll Soldaten herausspringt. In der Richtung des fotografierten Himmelstücks mit leicht schiefem Strommast befindet sich Militärgelände… Die Uniformierten kommen auf uns zu, verlangen die Kamera und unsere Ausweispapiere. Gehorsam reichen wir ihnen beides. Aufgeregt wird über die unscharfen Bilder von Strommast und Himmelsstück in unterschiedlichen Graustufen beratschlagt, dann wird uns bedeutet, einer müsse da bleiben, der andere zum Militärstützpunkt mitkommen. Als Urheber steigt Marius in den Wagen, während Jan im wieder einsetzenden Regen das Zelt zusammenpackt.
In einem alten Audi geht es durch ein paar Kontrollen und Grenzposten. Aussteigen, dann in jenen Raum warten, rein, rein, raus und wieder zurück. Die Soldaten verschwinden mit der Kamera und den Pässen. Was das wohl geben wird…
Nach einiger Zeit wieder rein ins Auto und wir fahren zurück. Jan sitzt nass im Schutz eines Baumes und wird ins Auto gewunken. Wieder heißt es alle Bilder nochmal anzuschauen. Neben dem Strommast wird auch der Pferdetransporter als verdächtig identifiziert, schließlich ähnelt er einem Polizeifahrzeug…Marius löscht die Bilder und der Ranghöchste gibt uns schließlich die Kamera zurück. Wir haben schon befürchtet, die SD-Karte würde einbehalten werden… Vollständig ausgestanden ist die Angelegenheit damit aber noch lange nicht. Der Uniformierte wedelt mit unseren Pässen und Jan wird wieder nach draußen geschickt. Abermals geht es auf zum Militärstützpunkt. Marius bleibt mit einem Soldaten im Wagen, während der Befehlshaber in einem Gebäude verschwindet. Wahrscheinlich muss er Kopien von unseren Pässen anfertigen, mit der Liste potenzieller Spione vergleichen und uns einen Eintrag schreiben. Währenddessen führt Marius mit seinem Aufpasser Russisch-Kauderwelsch-Smalltalk. Wie viele Soldaten hier war er als Kind kurze Zeit in Deutschland, sein Vater war in der DDR stationiert. Andere gucken neugierig durchs Autofenster, immer wieder schallt es wieder “Guten Tag!” über den Vorhof.
Nach einer halben Ewigkeit kommt der Herr mit unseren Pässen wieder und endlich verlassen wir das Gelände wieder. Wir werden zum Frühstück in die Fernfahrerkneipe eingeladen und trinken gemeinsam Tee. So schnell wird aus dem grimmigen Offiziellen ein freundlicher, interessierter Mann…
Ein bisschen mulmig kann einem bei einer solchen Begegnung dann schon werden. Aber während der letzten Wochen haben wir oft die Erfahrung gemacht, dass in jeder Uniform ein Mensch steckt, der irgendwo zwischen Vorschrift und Neugierde hin und herschwankt. Entgegen unseren Erwartungen und vielen Berichten kamen wir nie in die Verlegenheit, Schmiergelder zahlen zu müssen oder auch nur danach gefragt zu werden.
Die ganze Aufregung hat auch einige Zeit in Anspruch genommen und es ist schon recht spät. Auch nach unserem Frühstück zu dritt könnten wir noch ein wenig in Magen bekommen…
Nach einigen Verständigungsschwierigkeiten im Gasthaus am gestrigen Abend weiß man heute schon was wir wollen, da ist gar keine Bestellung mehr nötig… Sofort gibt es einen großen Teller mit Ei und Pommes für die verrückten Deutschen…Mhhm was für ein Frühstück…


Derartig gestärkt schwingen wir uns aufs Rad. Leichter Nieselregen, Temperatur knapp über null und immer wieder ein Schwall Wasser der durch die Schlaglöcher jagenden LKW. So macht Fahrradfahren Spaß! Die Einsicht kommt schnell und wir drehen wieder um. Wer nimmt uns mit, wer nimmt uns mit…So stehen wir am Straßenrand und wechseln uns mit Arm Raushalten und im Trockenen Unterstellen ab.
Irgendwann springt ein Kirgise dann doch aus seinem LKW, obwohl er uns vorher deutlich gemacht hat, wir würden nicht mehr zu ihm und seinem Mitfahrer ins Führerhaus passen. Da hatte wohl jemand Mitleid mit uns… Im Regen wuchten wir die Räder auf eine riesige, ihrem Zweck nach nicht bestimmbare Maschine und quetschen uns zu viert ins Warme. Dann muss wohl einer hinten liegen…


Da ist’s noch gemütlich…


Hier eher weniger. Der hoch gespritzte Straßendreck hat unsere Räder einen bisher unerreichten Zustand versetzt, bis in die letzten Ritzen steckt der Schlamm und auch die Taschen sehen nicht gut aus.
Wieder führt kaum etwas an einem Hotelzimmer vorbei und tatsächlich finden wir eine annehmbare und bezahlbare Unterkunft.

Alle Sachen ausgebreitet, vor dem Fenster hängt das Zelt zum Trocknen…
Den Nachmittag über wird ausgeruht und Jan nimmt sich mit einem Wasserschlauch das Gröbste an den Rädern vor. Abends erkunden wir wir ein bisschen den Ort und landen in einem kleinen Restaurant, hier wollen wir unsere letzten kasachischen Tenge verpulvern. Vegetarisch? Kopfschütteln. Huhn können wir haben oder Rind… Nach einer haargenauen pantomimischen Kochanleitung sehen unsere Chancen doch ganz gut aus. Und siehe da: Ein wunderbares vegetarisches Reisgericht seht vor uns. Es geht also doch!
Hungrig schlagen wir zu und loben die zufrieden wirkende Besitzerin. Als es dann ans Bezahlen geht, droht dem Abend doch noch ein unschönes Ende. Das Vierfache unseres letzten Abendessen verlangt die gute Frau, einfach das teuerste Fleischgericht und hatte jeder von uns eine doppelte Portion, sie war schließlich ordentlich groß. Soviel haben wir leider gar nicht mehr und bieten etwa 2/3 des Preises. So schlimm scheint es nicht zu sein, die Frau nimmt an. Scherzhaft wird uns mit Tellerwaschen gedroht… Aber dann kommt ihr der geniale Einfall, die Musik wird aufgedreht und wir, die einzigen Gäste des Lokals, werden unter dem Beifall des Personals zum Tanzen aufgefordert. Wir tun ihr den Gefallen und hüpfen mit der etwa 50-jährigen Besitzerin unseren Schulden davon.
Ende 108. 6km, ø12km/h, W: dreck, S: mieß, Süßes: 100g
Ort: Merke (17.10.2012)